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Asbest-Schnelltests für Zuhause- warum Vorsicht geboten ist

Die Immobilienpreise steigen, die Mieten auch. Viele junge Familien überlegen daher, in das lang gewünschte Eigenheim zu investieren. Gerade die Gebäude mit Baujahr 1950 bis 1980 sind noch einigermaßen bzw. vergleichsweise günstig zu haben, insbesondere, wenn man selbst notwendige Renovierungs- oder Sanierungsarbeiten durchführt.

Viele der Interessent*innen wissen aus den Medien, dass sie sich mit dem Kauf oder auch der Miete solcher Immobilien eventuell Bauschadstoffe mit einkaufen oder mieten. Sie haben sich auch mit der Thematik Asbest bereits auf zahlreichen Internetseiten kundig gemacht.

Das Thema Asbest und insbesondere, dass es der Gesundheit schadet ist in der Öffentlichkeit längst angekommen. Parallel dazu hat sich ein Markt etabliert, der sich auf die Begutachtung und Sanierung konzentriert. Dies sind hochspezialisierte Aufgabengebiete, mit denen sich bisher nur wenige wirklich gut auskennen, zu wenige, um die Nachfrage abzudecken. Und diese Kombination aus Angebotsdefizit und Komplexität der Thematik lassen sich Schadstoffsanierungsfirmen und Ingenieurbüros verständlicherweise gut bezahlen.

Dabei kommt ihnen zu Gute, dass die Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit Asbest umfangreich, komplex sind und nicht leicht verständlich. Generell dienen diese Vorschriften in erster Linie dem Arbeitsschutz und erst in zweiter Linie dem Schutz der Allgemeinheit. Somit sind gerade Privatpersonen von den strengen Vorschriften bis auf wenige Ausnahmen ausgenommen. Sogar sogenannte Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten sind für Privatpersonen ohne Sachkundeschulung in den eigenen vier Wänden erlaubt, wenn sie dafür sorgen, dass keine Schadstoffe diese vier Wände verlassen.

Rechtliche Schwachstelle

Diese rechtliche Schwachstelle nutzen nun zahlreiche Anbieter für sogenannte Asbest-Tests für Zuhause, indem sie sich aus dem riskantesten Teil des Tests heraushalten: Der Probennahme.

Für relativ wenig Geld (häufig zwischen 40 und 80 EUR je Probe), wird eine hochqualitative und sogar “gerichtsfeste” Analytik der eingesendeten Proben angeboten. Alle versprechen, die Besten und Erfahrensten zu sein. Den Kund*innen wird der Eindruck vermittelt, man könne so schnell Gewissheit darüber erhalten, ob Asbest vorhanden ist, ohne viel Geld für eine*n Gutachter*in in die Hand nehmen zu müssen.

Für die Anbieter*innen solcher Tests ist das leicht verdientes Geld und sie haben keine Verantwortung für eventuell schiefgegangene Beprobung und dadurch entstandene Gesundheitsrisiken für die Kund*innen oder für unbeteiligte Dritte. Und die Wahrscheinlicheit, dass Kund*innen eventuelle Fehler oder Schwachstellen im Gutachten oder in der Analytik erkennen und nachvollziehen können – und dann noch dagegen vorgehen, geht gegen null. Ein sicheres Geschäft also.

Für die Kund*innen aber ist die Probennahme zumindest riskant oder sogar gefährlich: Zwar enthalten die „Seriöseren“ unter den Test-Kits Anleitungen, wie bei der Beprobung (möglichst sicher) vorzugehen ist. Sie enthalten aber weder geeignete Schutzausrüstung noch die die für Asbestarbeiten zugelassenen Geräte wie z. B. Industriesauger mit H-Filter und Asbest-Zulassung.

Selbst Proben nehmen ist gefährlich

Beschädigte Promabestwand unter Glasfasertapete © Heiko Hofmann

Die Kund*innen werden also dazu ermutigt (sogar verleitet), ohne jegliche Fachkenntnisse (außer vielleicht zahlreicher Informationen aus dem Internet), selbst eine kleine Probe vom Wandputz herauszukratzen, vom Fliesenkleber, dem Fensterkitt, der Heizkessel-Isolierung. Von einer Leichtbauplatte eine kleine Ecke abzubrechen oder von einem Bodenbelag aus Cushion-Vinyl einen Streifen abzureißen. Vielleicht schneidet man eine kleine Ecke von der Eternitverkleidung ab, um Gewissheit über Asbestvorkommen zu bekommen.

Aber gerade dann wird Asbest zur Gefahr: Wenn es durch die zur Beprobung notwendige Beschädigung freigesetzt wird.

Krebsrisiko

Die Gefahr der Asbestfasern besteht darin, dass sie so fein sind, dass man sie nicht sehen kann. Es handelt sich um feinste Mineralfasern oder -Nadeln, die meist nicht dicker sind als ein paar tausendstel Millimeter. Sie fliegen also sofort durch die Luft – Schwerkraft spielt kaum eine Rolle – und werden eingeatmet. Sie erreichen die tiefsten und kleinsten Winkel in der Lunge und können sogar ins Gewebe eindringen, von wo der Körper sie nicht mehr selbstständig entfernen kann. Die Fasern sind chemisch sehr stabil und werden nicht aufgelöst. Narbengewebe kann entstehen und schlimmstenfalls kann nach hoher Exposition viele Jahre später Asbestose oder Krebs entstehen. Um dies zu vermeiden muss das Risiko soweit wie möglich reduziert werden – und das bedeutet: Keine Faserfreisetzung und keine Inhalation. Woher aber sollen Privatpersonen wissen, womit sie es genau zu tun haben und wie man sich bestmöglich schützt? Wieviel Asbest wird bei welchen Produkten und bei welchen Handlungen freigesetzt? All dies braucht die Testanbieter nicht zu interessieren.

Trügerische Sicherheit

Trotzdem bekommt man als Kunde das Gefühl vermittelt, man sei dabei sicher, denn sonst würden ja nicht so viele Schelltests angeboten – aber genau dieser Eindruck ist trügerisch. Einige Anbieter werben sogar damit, die Probennahme sei kinderleicht und ungefährlich!  Behauptungen dieser Art sind gelinde gesagt grob fahrlässig!

Man legt also selbst mit einem gewissen Gefühl der Sicherheit Hand an und nimmt Proben – dabei sind außer dem Gesundheitsrisio auch noch folgende Punkte wichtig:

  • Wieviele Proben sind sinnvoll?
  • Wo genau nimmt man die Proben?
  • Kann man Mischproben herstellen?
  • Ist die Probe durch andere Fasern (z.B. organische) oder die Matrix (alles drumherum) eventuell so verunreinigt, dass die Analyse nicht funktioniert?
  • Wie wird nach der Probennahme die beprobte Stelle gereinigt und gesichert?
  • Wie genau schützt man sich selbst und andere?
  • Welche Schutzausrüstung ist geeignet?
  • Werden Werkzeuge, Kleidung, andere Arbeitsmittel kontaminiert?
  • Und so weiter…

Man nimmt also eine oder mehrere Proben, verpackt sie gemäß Anleitung und sendet (einen Gefahrstoff!) per Post (und nicht per Gefahrguttransport) an das Labor. Einige Tage später bekommt man den Prüfbericht mit einem (oder mehreren) positiven oder negativen Ergebnissen. Doch was nun?

Was fängt man mit dem Ergebnis an?

Ist das Ergebnis negativ, bedeutet das einzig, dass die Proben negativ sind. Dies bedeutet keineswegs, dass das Ergebnis auf andere Bereiche oder Produkte übertragen werden kann. Hat man also wirklich Gewissheit oder hat man vielleicht nur Geld ausgegeben und ist nicht wirklich schlauer als vorher?

Ist das Ergebnis positiv, bedeutet das zwar, dass Asbest gefunden wurde, aber genau wie beim negativen Ergebnis auch: Nur in den eingesendeten Proben. Auch dieses Ergebnis lässt sich nicht auf alle Bereiche und Produkte übertragen.

Dennoch bedeutet ein positives Ergebnis:

Man hat tatsächlich bei der Beprobung Asbest gefunden, man hatte also direkten Umgang damit.

  • War man gut genug geschützt?
  • Wurde Asbest freigesetzt und hat man vielleicht Fasern eingeatmet?
  • Ist die beprobte Stelle wirklich gut gesichert, so dass keine Fasern mehr frei werden?
  • Wie behandelt man die verwendeten Arbeitsmittel?
  • Muss nun unverzüglich gehandelt werden?
  • Welche Kosten werden entstehen?

Möglicherweise kommen nun noch größere Sorgen auf, weil man nicht einschätzen kann ob und in welchem Umfang man vielleicht selbst Asbestfasern ausgesetzt war.

Und nun kommt das, was man eigentlich bereits von vornherein hätte tun können oder sollen: Der Anruf beim Experten. Und der wird sagen, man hätte besser nicht selbst Hand angelegt. Dass man nun eine Sanierung benötigt, weil die beprobten Stellen nun beschädigt und nicht mehr sicher sind und dass man sich das Geld für die Schnelltests hätte sparen können. Denn die Situation ist ohne das Ergebnis der Schnelltests genau dieselbe wie mit: Ist Asbest im Haus, muss ein Experte dran, der sich ein genaues Bild macht. Wurde kein Asbest nachgewiesen, gilt dies ausschließlich für die eingesendete Probe und nicht für die ganze Immobilie.

Der wichtigste Punkt dabei ist jedoch: Gefährlich sind die Asbestfasern in der Luft, die man einatmet und nicht die Fasern, die in einem Produkt enthalten sind. Die eingesendete Probe gibt nur qualitativ Auskunft über die Fasern in einem Produkt. Um die Fasern in der Luft zu bestimmen, muss man Luftproben sammeln und die Faserkonzentration darin berechnen. Dies ist ein ungleich größerer Aufwand, deutlich teurer und es geht nicht ohne den Experten, der die Ausrüstung dafür hat.

Warum der Privatbereich in den Vorschriften meist ausgenommen ist

Es ist sicherlich nicht Ziel und Absicht des Gesetzgebers, auch noch den kleinsten privaten Winkel zu reglementieren. Deshalb haben Privatpersonen ziemlich freie Hand, was sie zuhause tun. Allerdings sollte man berücksichtigen: Die Regeln und Vorschriften im Zusammenhang mit Asbest sind bewusst so streng, denn sie dienen dem Schutz der Gesundheit. In allen anderen Fällen außer dem Privatbereich dürfen ausschließlich geschulte Experten und Fachleute Umgang mit Asbest haben – und zwar zu Recht. Und der Umgang mit Asbest wird von der aufsichtführenden Behörde (Gewerbeaufsicht) überwacht. Arbeitgeber kann man zum Gesundheitsschutz der Miterbeiter*innen gesetzlich verpflichten. Im Privatbereich geht das nicht. Da wird auf die Eigenverantwortung gesetzt.

Man könnte sich nun zwar sagen: „Was ich nicht weiß…“, allerdings ist es gut und auch notwendig, die Frage nach einer Schadstoffbelastung zu stellen. Entweder beim Vermieter oder der Vermieterin, beim Verkäufer (der Verkäuferin) oder- wenn man bereits Eigentümer*in ist – direkt beim Experten / der Expertin. Nur er (oder sie) kann Ihnen verlässlich sagen, ob eine akute Gefährdung vorliegt oder nicht. Der / die Expert*in gewinnt auch einen Überblick über die Gesamtsituation und weiß, wo man noch nachsehen sollte. Er (sie) kann Ihnen sagen, ob ein Test und ggf. Maßnahmen überhaupt nötig sind und wie man ab hier rechtlich und fachlich richtig vorgehen muss. Das kann ein Schnelltest alles nicht. Warum also bereits Geld hierfür ausgeben?

Schließlich muss man auch folgendes bedenken:

Was kann man für 40 – 80 EUR erwarten?

Ein Raster-Elektronenmikroskop kostet in der Anschaffung rund 250.000,- EUR. Eher mehr. Die Betriebskosten belaufen sich pro Stunde auf mehrere 100 EUR. Eine Analytiker*innenstunde (Mineralog*in mit Hochschulstudium) kostet pro Stunde rund 100 EUR oder mehr. Dazu kommen Verbrauchsmaterial, Energiekosten und natürlich die Gewinnmarge.

Wieviel Zeit bleibt für eine ordentliche Analyse samt Vorbereitung (Präparation), Evakuierung der Probenkammer (Hochvakuum dauert rund 15 Minuten), Analyse der Probe, Auswertung und Verfassen des Berichts, damit sich die Analytik gewinnbringend rechnet?

Fazit:

  • Der Schnelltest verleitet dazu, auch ohne Fachkenntnisse selbst Hand anzulegen!
  • Man könnte sich und andere durch unbeabsichtigte Freisetzung von Asbestfasern gefährden.
  • Der Test hilft bei positivem Ergebnis nicht weiter! Man steht dann immer noch mit der Problematik alleine da.
  • Der Test gibt keine Auskunft über die Faserkonzentration in der Atemluft. Und nur diese Fasern sind unmittelbar gefährlich.
  • Nur ein*e Expert*in kann die Gefährdung genau einschätzen. Vielleicht ist ja Asbest vorhanden, es geht aber keine Gefahr davon aus und kann sogar eingebaut bleiben. Darüber sagt der Test nichts aus.
  • Solange Asbest „unangefasst“ bleibt, geht in den meisten Fällen keine Gefahr davon aus.

Wie zuverlässig sind Raumluftmessungen?

Alle Maßnahmen im Zusammenhang mit Arbeiten und im Umgang mit Asbest verlangen an einer oder mehreren Stellen Messungen der Faserkonzentration in der Raumluft. Dies dient der Antwort auf folgende Fragen:

  • Werden Richt- und Grenzwerte eingehalten?
  • Sind Arbeitsplätze frei von Asbest und sicher?
  • Sind Maßnahmen erforderlich und wenn ja, welche?

Die Regeln für die Messungen der Faserkonzentration sind streng, aber auch recht starr und deshalb nicht möglicherweise für alle Fragestellungen anwendbar. Der Folgende Beitrag befasst sich mit den Schwachstellen der vorgegebenen Regeln.

Wird überhaupt Asbest frei und wenn ja, wieviel?

Diese Frage kann nicht pauschal beantwortet werden. Nur ein Test mit meßtechnischer Begleitung kann Gewissheit bringen. Bis dahin ist eine Faserfreisetzung im Umgang mit Asbest zwar wahrscheinlich (oder zumindest nicht auszuschließen), aber die Anzahl der Fasern, die Verteilung und Verdünnung auf das gesamte Raumvolumen, insbesondere bei Frischluftzufuhr, sind sehr spekulativ.

  • Was sagen diese Daten eigentlich aus?
  • Ist dies die Faserkonzentration, der eine Person in einem betroffenen Raum ausgesetzt wäre?
  • Und wenn ja, wie lange?
  • Wo genau wurde gemessen?
  • Wie wird diese Zahl überhaupt berechnet?
  • Und kann man diese Berechnung auf die Problematik überhaupt anwenden?

Wie die Raumluftkonzentration von Asbestfasern generell gemessen und berechnet wird, ist in der DGUV Information 505-46 (bzw. früher: BGI/GUV-I 505-46) sowie in der VDI Vorschrift 3492 genau vorgegeben. Die Frage ist nur: Sind die relativ starren Vorgaben dieser Regeln für alle Zwecke anwendbar?

Wie aussagekräftig sind die Zahlen?

Sammler bzw. Monitor zur Sammlung von Fasern aus der Raumluft © Heiko Hofmann

Gesammelt bzw. gemessen wird, indem eine Saugpumpe ein bestimmtes Luftvolumen durch eine poröse Membran mit definerter Fläche saugt. Die in der Luft enthaltenen Fasern bleiben auf der Membran liegen und können im Rasterelektronenmikroskop analysiert und gezählt werden.

In die Berechnung fließen folgende Parameter ein:

  • V = Angesaugtes Volumen in m3
  • Aeff = Effektive Fläche des Probenträgers in mm2
  • nF = Anzahl der nachgewiesenen Asbestfasern
  • a = Fläche des Zählfeldes in mm2
  • N = Anzahl der ausgezählten Zählfelder
  • Q = Volumenstrom in m3/h
  • t = Meß- bzw. Sammeldauer in Stunden (h)

Das angesaugte Volumen kann über die Meßdauer (t) in Stunden und den an der Saugpumpe eingestellten Volumenstrom (Q) in m3/h berechnet werden:

V = Q • t

Die Berechnungsformel für die Faserkonzentration pro m3 Raumluft lautet

CF = (nF • A) / (N • a • V)

REM Bildausschnitt (rechts) des Probenträgers (links) © Heiko Hofmann

Beispiel: Es wurden 20 Fasern gezählt, das Volumen waren 100 Liter (= 0,1 m3), die Fläche des Zählfeldes ist 1,6 mm2, es wurde 1 Zählfeld ausgewertet und die effektive Fläche der Membran ist 380 mm2. Somit ergibt sich für die Faserkonzentration

CF = 20 • 380mm2 / 1 • 1,6 mm2 • 0,1 m3 = 47500 Fasern / m3 Raumluft

Eine stolze Zahl angesichts nur 20 identifizierter und gezählter Fasern! Man fragt sich nun zu Recht: Kann das sein?

Immerhin wurde streng nach Vorschrift gerechnet. Im Gutachten steht dann: bei der Messung wurde eine Faserkonzentration von 47500 Fasern / m3 Raumluft nachgewiesen.

Bedenkt man den Grenzwert von 500 Fasern, der Maßnahmen nach TRGS 519 notwendig macht, liegen wir hier um Größenordnungen darüber. Das bedeutet Sperrung des gesamten an die Lüftung angschlossenen Bereichs! Bei nur 20 gezählten Fasern.

Aber nochmal einzeln und nacheinander: Die 20 Fasern liegen auf 1,6 mm2. Das bedeutet, dass auf den gesamten 380mm2 des Probenträgers bei gleichmäßiger Belegung 4750 Fasern liegen. Diese 4750 Fasern befanden sich in 100 Litern Luft. Rechnet man auf 1m3 hoch, ergeben sich entsprechend 47500 Fasern pro m3. Soweit nachvollziehbar, richtig?

Wenn 100 Liter Luft 4750 Fasern enthalten,

dann enthält 1m3 47500 Fasern © Heiko Hofmann

Stimmt die Berechnung?

Nun muss man berücksichtigen, dass „nur“ 100 Liter angesaugt wurden. Wäre dieselbe Faserkonzentration herausgekommen, wenn man tatsächlich 1000 Liter Luft angesaugt hätte? Denn das ist die Aussage der berechneten bzw. extrapolierten Faserkonzentration!

Wenn ein Freisetzungsereignis nur wenige Sekunden dauert und deshalb die Probennahmedauer auf wenige Minuten bzw. auf ein kleineres Volumen verringert werden kann, ist diese Zahl irreführend:

Zwar ist tatsächlich die Überlegung, die Meßdauer zu verkürzen, nachvollziehbar – aber darf man dann auf 1000 Liter „hochrechnen“? Dies würde voraussetzen, dass in jedem Teilvolumen von je 100 Litern dieselbe Faserzahl vorhanden ist, die sich bis zum Erreichen des Volumens von 1000 Litern aufsummieren.

Werden aber während des Ereignisses tatsächlich nur Fasern innerhalb weniger Sekunden frei,  und danach kommen keine Fasern mehr nach, dann kann man die lineare Berechnung nicht mehr anwenden!

In diesem Fall könnten die 20 Fasern auf dem Zählfeld bereits nach 2 Sekunden oder einer Minute (bzw. im der Sammeldauer entsprechenden Volumen) enthalten gewesen sein.

Nimmt man also an, dass die Fasern innerhalb einer Minute oder innerhalb eines Anfangsvolumens von 1 Liter enthalten waren und danach nur noch saubere Luft angesaugt wird, ergeben sich bei Anwendung dieser Formel signifikant unterschiedliche Werte für die Faserkonzentration in 1000 Litern Luft. Die Hochrechnung wäre schlicht falsch!

Abhängigkeit der Faserkonzentration von gesammelten Volumen bzw. der Sammelzeit bei konstanter Zahl der gezählten Fasern (hier 20) © Heiko Hofmann

Angenommen, die 20 Fasern wären bereits nach 1 Sekunde auf dem Träger zusammengekommen und änderte sich danach nicht mehr, wäre es zwar unerheblich, ob die Messung nach 10 Sekunden, 1 Minute oder 1 Stunde gestoppt würde. Da aber das gesamte gesammelte Volumen in die Berechnung mit einfließt, ändert sich das Endergebnis signifikant.

Wäre die Faserzahl also konstant (nach 1 Sekunde) bei 20 und würde man die Sammlung nach 1 Minute stoppen, wäre die (berechnete) Konzentration bei rund 4 Millionen Fasern. Nach einer Sammeldauer von 24 Stunden hingegen nur noch rund 300 Fasern/m3. Vorausgesetzt, man wendet die lineare Formel der Vorschrift starr an.

Wann kann die lineare Formel verwendet werden?

Ausschließlich, wenn die Verteilung der Fasern in einem theoretisch unendlichen Volumen gleichmäßig ist und wenn die Zahl der angesaugten Fasern je Zeitintervall konstant ist. Dies wäre nur in einem statischen und geschlossenen System möglich.

Faserkonzentration in der Raumluft konstant und unabhängig vom Zeitpunkt der Sammlung © Heiko Hofmann

Zunahme der Fasern auf dem Sammler konstant – Anstieg linear. In jedem Zeitintervall wird dieselbe Faserzahl gesammelt © Heiko Hofmann

Dieses Setting ist allerdings unrealistisch:

  • Fasern sind nie genau gleichmäßig verteilt
  • Das Volumen ist immer begrenzt
  • Es strömt immer von irgendwo saubere Luft nach.

Faserkonzentration bei einem kurzzeitigen Ereignis: Sie steigt stark an und fällt danach aufgrund von Verdünnungseffekten wieder ab. Konzentration abhängig von der Zeit und vom Volumen © Heiko Hofmann

Zunahme der Faserzahl auf dem Sammler nicht linear. Steiler Anstieg, danach kommen keine neuen Fasern nach, ein Plateau wird erreicht unabhängig, wie lange danach noch gesammelt wird © Heiko Hofmann

Auf das Setting kommt es an

Das bedeutet, mit nur einem Meßwert ist es unmöglich, ein dynamisches System zu beschreiben, bei dem Fasern in einem plötzlichen Ereignis freigesetzt werden und sich die Faserkonzentration danach nur noch durch Frischluft verdünnt.

Um die Faserkonzentration in 1 m3 Luft zu bestimmen muss deshalb auch mindestens 1 m3 Luft gesammelt werden. Erst dann hat man eine annähernd belastbare Zahl. Die Meßrichtlinien der VDI und DGUV verlangen auch, ein ausreichend großes Volumen zu beproben!

Zusätzlich muss das gesamte betroffene Raumvolumen berücksichtigt werden. Die Verdünnung ist unter Umständen extrem und da stellt sich die Frage, wird der Grenzwert von 500 Fasern überhaupt erreicht und muss der angeschlossene Bereich tatsächlich gesperrt werden?

Ist zusätzlich zur frischen Zuluft noch eine Abluftabsaugung hinzugeschaltet, wird die kontaminierte Luft bei entsprechendem Luftwechsel innerhalb nur kurzer Zeit vollständig „gewaschen“.

Will man im Rahmen einer geplanten Untersuchung die Faserkonzentration der bei einem Ereignis freigesetzten Fasern im angeschlossenen Arbeitsbereich verlässlich feststellen, muss das gesamte Beprobungs- und Meß-Setting genau geplant werden und man benötigt mehr als nur eine Probe. Das bedeutet natürlich auch etwas höhere Kosten. Aber lieber ein durchdachter „Versuchsaufbau“ als ein unbrauchbares Ergebnis für weniger Geld.

Falls die Faserkonzentration nach einem unbeabsichtigten Ereignis festgestellt werden soll, muss man die seit dem Ereignis sedimentierten Fasern durch eine Nutzungssimulation erneut aufwirbeln und möglichst gleichmäßig im Raum verteilen. Zuluft oder Umluftanlagen müssen während der Messung abgestellt sein und die Messung muss mindestens 1 m3 Volumen ansaugen oder solange dauern, bis mindestens 1m3 angesaugt wurde. Besser 8 Stunden oder mindestens 4 m3.